
Hallo Alexander, schön dass du Zeit gefunden hast für ein Interview. Wir befinden uns gerade auf der 1Up! Con in Karlsruhe. Ich bin sehr gespannt, was uns für ein Programm erwartet. Neben dir sind heute auch weitere Chiptune-Künstler vor Ort – zum Beispiel Strobocop oder Vault Kid, der einen Game Boy Music-Workshop anbieten wird.
channard: Als erstes musst du den Leserinnen und Lesern einmal verraten, wie es zu dem Namen havocCc gekommen ist.
havocCc: Die Story hinter dem Namen habe ich schon sehr oft erzählt und erzähle ich auch sehr gerne. Ich habe vor acht Jahren in einer Band Keyboard gespielt und der Gitarrist und der Bassist haben mich irgendwann nur noch havoc (engl. Chaos, Verwüstung) genannt. Und ich habe mich gefragt: „Woran liegt das?“. Die Antwort: bei den X-Men gibt es einen Havok und der heißt mit bürgerlichem Namen Alex Summers und da ich Alexander Sommer heiße, haben sie mir einfach den Nickname gegeben. Und die Schreibweise havocCc, also ccc, das ist an den spanischen Chiptuner JosSs angelehnt. Der Name wurde mir also gegeben – ich habe ihn nicht ausgesucht.
channard: 2012 hast du dein erstes Album „Travelling through Clouds“ veröffentlicht bei dem du diverse VSTs (Virtual Studio Technology) zum Einsatz gebracht hast. Unter anderem hast du für das Album den Atari ST Soundchip emuliert und auch den Magical 8bit Synthesizer eingesetzt. Das Album klingt sehr professionell – war dies dein Einstieg in die Welt der Chiptunes oder hast du dich bereits vor 2012 mit der Programmierung elektronischer Musik beschäftigt?

havocCc: Hm, ja also 2011 habe ich mir Fruity Loops zugelegt, mit dem das Album auch gemacht wurde. Es gab mal so einen Typ auf Youtube der für andere Youtuber mit Fruity Loops Beats gemacht hat und das fand ich sehr interessant. Erst habe ich mir die Demo vom Programm besorgt und dann später die Vollversion zum Geburtstag. Am Anfang habe ich ein paar Sachen auf Newgrounds hochgeladen, einer Plattform für Content-Creator. Meine Lieder waren erst sehr ambientlastig, also eher ruhig. Meine musikalische Vorgeschichte reicht aber zurück bis zu meinem sechsten Lebensjahr. In der Musikschule gab es damals das Projekt „Kinder suchen ihr Instrument“ und so habe ich mich sechs Monate mit Gitarre und sechs Monate mit Geige beschäftigt. Beim Schlagzeug bin ich sieben Jahre hängen geblieben und habe danach noch etwas Keyboard gespielt. Und irgendwann bin ich dann auf rein elektronische Musik umgestiegen.
channard: Nach dreijähriger Schaffenspause bringst du uns „Diurnal Course“. Ein Album das uns quasi 24 Stunden, von einer Morgendämmerung zur nächsten, begleitet. Das schönste liegt dazwischen: das Funkeln der Sonne am Tag aber auch das Einbrechen der Nacht und helle Sterne am Himmelszelt. Wir tauchen in virtuelle Träume ein und müssen später doch feststellen, dass alles nur ein wahnsinnig schöner Traum war (Übersetzung aus dem englischen). Kannst du kurz beschreiben mit welcher Hardware du das Album erstellt hast und was für dich bei der Erstellung des Albums Inspiration gewesen ist?

havocCc: Das Album hat ja sieben Titel und einen Remix. Virtual Dreams und Still here sind mit Fruity Loops gemacht und die anderen Lieder mit FamiTracker, also dem NES-Emulator, der auf Windows läuft. Als ich das Lied Nightfall gemacht habe, kam eigentlich so die Idee, dass das ganze für den Nachteinbruch stehen kann, weil es ja auch sehr getragen ist und sehr ruhig. Nightfall ist übrigens auch mein Lieblingslied von mir selbst. Ich glaube, ich werde nie wieder sowas schönes machen. Und dann kam eben die Idee diesen Tagesablauf darzustellen. Ich hatte eine Zeit lang heftige Schlafstörungen, war bis 7 Uhr morgens wach und habe dann bis 16 Uhr gepennt – und das zu verarbeiten, meinen Tagesrhythmus musikalisch zu verpacken, war die Idee dahinter.
channard: Falls alle Streamingplattformen nach einander abgeschaltet würden, gäbe es trotzdem noch eine Möglichkeit viele Jahrzehnte ein ganz bestimmtes Lied von dir, nämlich Sunset, zu genießen. Der Track befindet sich als Remix auf Tronimal‘s längst ausverkauften Cartridge-Release Hello_World!. Wie ist es denn zu der Zusammenarbeit mit Tronimal gekommen und bist du zufällig selbst im Besitz einer Hello_World! Cartridge?
havocCc: Ja die Cartridge besitze ich tatsächlich, die hat er mir beim Ohrbit Festival in Duisburg, 2016 war das glaube ich, geschenkt. Tronimal hat mich irgendwann mal auf Facebook angeschrieben. Er führt ja auch auf seiner Seite eine Riesenliste mit allen Chiptune-Künstlern aus Deutschland, die auch permanent aktualisiert wird. Er meinte, er würde mich gerne aufnehmen, weil er auch meinen Stuff ziemlich geil findet. Er hat dann von Sunset einen Port gemacht, hat das Lied auf den Game Boy gezogen, dass es eben über dessen Soundchip abspielbar ist. Ein wirklicher Remix ist es nicht, weil der melodiöse Ablauf gleich ist, der Rhythmus ist gleich, es ist eben der andere Soundchip. Er mag meinen Kram, weil es sich sehr melancholisch anhört und hatte dann gemeint, dass er Sunset besonders mag.
channard: Ah cool, das heißt, ihr habt euch vorher auch gar nicht gekannt. Das war der erste Kontakt zwischen euch?
havocCc: Ja genau. Also ich hatte ihn vorher gar nicht auf dem Schirm. Aus Deutschland kannte ich Niels, den kennt aber auch jeder, TRIaC kannte ich vom Hören, den hatte ich auch so um die gleiche Zeit kennengelernt auf Facebook, 9-Heart kannte ich, aber ich hatte mir in der Anfangszeit hauptsächlich Sachen aus UK angehört. Henry Homesweet – das war mein Einstieg in die Chiptune-Szene. TRIaC hat mir übrigens meinen ersten Gig verschafft. Das war in Erfurt bei der Retro-Party vor ziemlich genau 3 Jahren am 23.04.2016. Da musste er leider absagen, weil er operiert wurde.
channard: Machen wir einen Sprung ins Jahr 2019: deine neueste EP heißt „Was?“. Du schreibst: „Was?“ bringt meine Musik zurück zu ihren melodischen Wurzeln und liefert beruhigende und entspannende Melodien über den NES-Soundchip. Kann es sein, dass die gesamte EP eine Aufarbeitung bzw. Retrospektive auf das Chipwrecked 2018 Festival ist oder vielleicht sogar ein Ausblick auf das diesjährige Chipwrecked?

havocCc: Jain. Also nicht die gesamte EP. Die ersten zwei Tracks sind eigentlich für ein Konzept-Album über London gedacht gewesen. Das habe ich allerdings verworfen – ich hatte da eine Idee mit 10 Liedern. Das war kurz bevor ich nach Bonn gezogen bin und damals hatte ich keine so gute Zeit und konnte wenig melodische Sachen schreiben. Das erste Lied Arrival bezieht sich eben auf das Ankommen in London, und das passt natürlich auch zu Bornholm und das Chipwrecked. Das zweite Lied Hyde-Park basiert auf dem Londoner Park und möchte das Barfußgehen übers Gras und die kleinen Freuden des Lebens genießen darstellen. Und der Track Was? bzw. der Albumtitel bezieht sich auf Chipwrecked. Wir saßen halt da: Felix (TRIaC), Mario (Klirre) und Don (Sajuuk) und waren Peanut Butter Jelly Sandwiches am essen – das ist ja auch der Name von dem vierten Track. Felix hatte irgendwas gesagt und plötzlich war es ruhig und Mario meinte nur so: „Was?“. Und ich musste voll lachen und dachte mir so, dass ich meine EP einfach Was? nenne. Auf dem Cover ist auch Klirre im Hintergrund abgebildet.
channard: Ja haha, das wäre auch eine nächste Frage gewesen. Wieso ist Klirre auf dem Cover abgebildet?
havocCc: Ich dachte mir, ich mache jetzt noch ein Foto fürs Album und habe einfach einen Zweig in die Hand genommen und Mario sitzt im Hintergrund. Das war alles recht spontan haha. Das Lied danach, To the Horizon, wollte ich übrigens einmal für eine Chiptunes = Win Compilation einreichen, bin aber nicht rechtzeitig fertig geworden.
channard: Was mir jetzt noch einfällt: wie unterscheidet sich das Musikmachen auf dem NES eigentlich vom Game Boy?
havocCc: Der große Unterschied ist, dass das NES fünf Kanäle hat und der Game Boy vier. Es hört sich natürlich auch anders an. Das NES hat zwei Pulse-Kanäle und ein Triangle-Kanal. Und es hat ein DBCM, kann sampeln. Das kann der Game Boy auch, also LSDJ kann das – Nanoloop nicht. Mehr kann ich leider nicht zu sagen, kenne mich auch nur laienhaft mit aus. Ich arbeite am Game Boy ja nur mit Nanoloop und da mag ich, dass man diese 4×4 Matrix auf dem Bildschirm hat. Es ist eben sehr intuitiv, weil du halt permanent hörst was du machst. Das ist beim NES nicht so oder bei LSDJ. Da musst du vorher Effekte kodieren, dann hörst du es dir an, nicht so gut, dann änderst du es und hörst es dir nochmal an und bei Nanoloop kann man die Töne verändern während du sie hörst, während sie also laufen. Deswegen sind meine Sets auch so aufgebaut wie sie sind – das ist alles live. Live-Sequencing während ich spiele kommt noch hinzu. Das mag ich halt an Nanoloop so. Es liegt mir einfach besser.
channard: Ich glaube da gehen die Meinungen auch ziemlich auseinander. Die einen schwören auf LSDJ, für andere gibt’s nichts besseres als Nanoloop.
havocCc: Ja ich glaube das sind vor allem die Deutschen. Felix, Mario und ich nutzen Nanoloop. Ich weiß nicht warum das so ist aber in Deutschland ist Nanoloop oft vertreten. Vielleicht weil es von Oli gemacht wird – er wohnt ja in Hamburg, vielleicht daher – ich weiß es nicht.
channard: Du bist oft auf Chiptune-Parties anzutreffen – mit massig genialen Tracks im Gepäck. Apropos Gepäck: aus welchen Komponenten besteht denn dein Setup wenn du unterwegs bist und welcher Game Boy kommt bei dir mit welcher Software zum Einsatz?
havocCc: Also wenn ich nicht unbedingt fliegen muss, nehme ich meinen eigenen Mixer mit. Ich habe im Flugzeug einfach Angst, dass da etwas passiert. Da habe ich also auch schon einiges dummes gehört – wo Mixer kaputtgegangen sind. Wenn ich fliege, sind es zwei Game Boys und Linkkabel. Ansonsten, wenn ich fahre und die Events die in nächster Nähe erreichbar sind, also innerhalb Deutschland, Belgien, Frankreich, Niederlande, dann habe ich zwei Game Boys dabei, Linkkabel, Delay-Pedal – das Standard Chiptune-Equipment.
channard: Widmen wir uns kurz der Chiptune-Szene im Allgemeinen. Mir ist aufgefallen, dass sich die Szene, vor allem die Künstler die den Game Boy als Musikinstrument nutzen, oft und gerne unterstützen. An der Was? EP haben so zum Beispiel auch Vault Kid, Klirre und TRIaC mitgewirkt. In einem anderen Fall hast du Klirre auf dessen EP Planetenporzellan einen Remix beigesteuert. Was genau macht für dich die Chiptune-Szene aus bzw. was schätzt du am meisten an ihr?
havocCc: Alles haha. Als ich angefangen hatte Chiptunes zu machen, wusste ich ja noch nicht, dass ich irgendwann mal so tief darin stecken würde. Also ich hatte ja wegen Henry Homesweet angefangen, mein absolutes Vorbild, und bin dann eigentlich auch nur wegen ihm auf Partys gefahren – meine erste Party war in Koblenz. Eine von Niels. Da hatten 9-Heart, Gampoy und Melted Moon gespielt und der Hannes (irq7). Dann bin ich wegen Henry Homesweet einmal nach Belgien gefahren und habe gemerkt, dass zwischen Fan und Künstler kaum Distanz besteht. Zum Beispiel war ich ja auch mal ziemlich tief in der Metal-Szene drin und da kannst du nicht einfach mal mit dem Gitarristen auf ein Bier quatschen. Das ist in der Chiptune-Szene komplett anders. Ich war mal auf der Nintendoom und hatte Henry Homesweet getroffen und ihn gefragt ob er ein Album signieren und ich ein Foto mit ihm machen könnte. Und dann meinte er so, dass er gerade noch seine Sachen ablegt und mich auf ein Bier einlädt. Dieses Nahe einfach. Viele Leute sagen auch die Szene sei eine kleine Familie. Weil sie eben auch so unentdeckt ist. Man fliegt nach London oder Antwerpen auf eine Party, da sind 50 Leute und man kennt 30 davon. Da kommt natürlich eine Menge Networking zustande. Man sagt einfach: „Ich mache eine EP, machst du ein Remix dafür?“.
channard: Der Game Boy ist ja nicht in erster Linie ein Gerät, auf dem man Musik erzeugt, sondern spielt. Nutzt du den Game Boy selbst auch zum Zocken oder ausschließlich zum Chiptunes produzieren? Falls du Game Boy spielst: Was sind deine drei Lieblingsspiele?
havocCc: Als ich 2015 oft in London war, habe ich immer sehr gerne Pop Up gespielt. Aber auch eigentlich nur wegen dem Soundtrack. Chiplove hat ja jetzt vor kurzem eine 30 Jahre Game Boy Remix-EP veröffentlicht, da wollte ich eigentlich einen Pop Up Remix beisteuern, aber ich habe es irgendwie verpennt. Ansonsten habe ich Pokémon sehr gern gespielt und wenn ich kurz auf den GBA rübergehe, ist halt mein absolutes Lieblingsspiel Pokémon Smaragd. Es ist sehr gut und nicht so überladen wie die Pokémon-Spiele, die danach kamen. Also ich würde sagen: Pop Up, Super Mario Land und Pokémon Smaragd.
channard: Und zu guter letzt: Wo genau kann man dich dieses Jahr live erleben? Bist du auf dem Chipwrecked-, Ohrbit- und Chip hits the Fan-Festival anzutreffen?
havocCc: Chipwrecked leider nein, da musste ich absagen weil ich im August meine Ausbildung zum Altenpfleger beginne. Finde ich sehr schade, weil ich die ersten beiden Chipwrecked auch da war. Das ist halt auf einem Bauernhof im Nirgendwo mit 120 Leuten. So könnte das Leben aussehen haha. Ich spiele dieses Jahr noch in Belgien, kann aber noch nicht viel dazu sagen, weil das Event noch nicht öffentlich ist. Bei Eindbaas bin ich als Gast vor Ort.
channard: Eindbaas – gibt’s das noch? Da wurde doch überlegt das Event einzustellen.
havocCc: Ja bei meinem erstes Eindbaas in 2016 hieß es auch, dass der Organisator ein Ticketunternehmen führt und nicht mehr die Zeit findet sich um das Event zu kümmern. Es ist momentan so im Übergehen, dass RoccoW aus den Niederlanden die Orga übernehmen wird. Das stand wirklich mal auf der Kippe, soll aber weitergeführt werden.
channard: Damit wären wir durch. Vielen Dank für das nette Interview.

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